300ER-WELTREKORD
Apropos Größe, es war eine Formation mit 296 kompletten Griffen und unser Gefühl hatte uns nicht getäuscht. Wir waren auf dem richtigen Weg und euphorischer Jubel klang aus den einzelnen Teamzelten, als der Sprung auf den Monitoren gezeigt wurde. Auch die Organisatoren waren mehr als zufrieden mit dem Lernprozess der Gruppe und spornten uns richtig an, beim nächsten Sprung die Formation an den Himmel zu „nageln“, wie sie es immer auszudrücken pflegten. Aber es sollte anders kommen und der folgende Sprung war weit weit weg, von dem, was wir fähig waren zu leisten. Sollten wir tatsächlich in ein Tief fallen? Ging die Leistungskurve wieder nach unten, und dauert es jetzt wieder einige Sprünge, bis wir da wieder raus kommen? Tom, mein Partner zur Linken hatte sich zu allem Unglück auch noch bei diesem Sprung das Knie verdreht. Als ich nach dem Fallschirmpacken wieder zurück zu unserem Zelt kam, lag er mit einem Eisbeutel auf dem Knie da und machte ein paar Scherze über seine missglückte Landung. Wieder einer, der ausfiel und ausgetauscht wurde. Philip, ein Deutscher, der dort am Sprungplatz hauptberuflich arbeitet, kam an seine Position. Das Gesamtbriefing von George war schon fast vorbei, als Philip erst kam. Mit ein paar wenigen Anweisungen bekam er gesagt, was er zu tun hatte und wo er seine Griffe nehmen musste. Das kann nicht funktionieren, dachte ich. Zu viele Dinge musste er sich merken, ohne dass er sich optisch das Bild richtig einprägen konnte und dann auch noch die nervliche Belastung.
Im Steigflug krachte es wieder, wie bei jedem Sprung vorher in meinen Ohren. Das Geräusch hörte sich ungefähr so an, wie wenn in den Spielfilmen bei einem sinkenden U-Boot die Bolzen bersten. Meine Stirnhöhlen und Nebenhöhlen waren vom ersten Sprung an zu. Ein Druckausgleich funktionierte nicht automatisch, wie es sonst üblich war. Da ich seit Monaten mit diesem Problem kämpfte, es aber aufgrund der in Deutschland geringeren Absprunghöhen keine größeren Auswirkungen und Schmerzen verursachte, ließ ich mich trotzdem noch vor meinem Abflug zur Sicherheit untersuchen. Ein HNO-Arzt konnte nichts Außergewöhnliches feststellen und gab mir ein Nasenspray, das die Atemwege freihalten sollte. Auch als ich nach den schmerzlichen ersten Sprüngen von einigen Springerkollegen das Allheilmittel gegen dieses Symptom bekam, wurde es nicht besser. Je weiter wir stiegen, umso geringer wurde das Krachen, da der Druckabfall nicht mehr so stark zunahm. Umso heftiger wurde es dann im freien Fall ab ca. 2.000 m. Das war die Erfahrung aus 6 Übungssprüngen und den 12 Versuchen der 300er-Gruppe aus 6.000 m Höhe und mehr. Irgendwie hatte ich in diesem Sprung zum ersten Mal Probleme mit dem Sauerstoff. Das zumindest sagte mir mein Gefühl. Immer wieder überprüfte ich die Anschlüsse meiner Schläuche, doch sie saßen alle perfekt. Ein leichter Druck, den ich auf meine Augenhöhlen verspürte verriet mir, dass etwas komisch war. Ich kannte meine Symptome von Hypoxie. Im Mai 2000 nahm ich an einem Druckkammerlehrgang des Flugmedizinischen Institut der Luftwaffe in Königsbrück bei Dresden teil, da ich kurz darauf einen Absprung aus knapp 10.000 m machte. Dafür war dieser Lehrgang Vorschrift. In einer Druckkammer wurden die Bedingungen dieser extremen Höhe simuliert und man musste sich dann, natürlich unter ärztlicher Aufsicht, den Sauerstoff abklemmen. Sinn dieser überlebenswichtigen Erfahrung war es, seine persönlichen Symptome zu erkennen, die auftraten, wenn der Körper nicht mehr genügend Sauerstoff bekam. Bei mir war es eben dieser der Druck auf die Augenhöhlen.
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